Eine verordnete Verfassung?

      3 Kommentare zu Eine verordnete Verfassung?

Die Verfassung von 1871 ist nur eine Verordnung, denn sie wurde vom Kaiser lediglich verordnet und hat darum keine Gültigkeit. Lies mal die Reichsverfassung, da steht es drin: Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden deutscher Kaiser, König von Preußen, etc. verordnen hiermit.

Diese Behauptung der Feindpropaganda wird regelmäßig insbesondere von Gläubigen der sog. Verfassungsgebenden Versammlung VV verfochten. Sie suggerieren damit, daß die Reichsverfassung den Deutschen vom Kaiser oktroyiert, also aufgezwungen wurde.

Widerlegung:

Zunächst einmal gilt festzustellen, daß bei dieser Behauptung auf die Eingangsformel¹ des Gesetz, betreffend die Verfassung des deutschen Reichs vom 16. April 1871. (Reichsgesetzblatt 1871 S. 63) Bezug genommen wird. Dabei wird jedoch ein Teil der Eingangsformel schlichtweg unterschlagen. Und schon aus dem Wortlaut des unterschlagenen Teils ergibt sich die böswillige Unsinnigkeit der Argumentation:

Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden deutscher Kaiser, König von Preußen, etc. verordnen hiermit im Namen des deutschen Reiches nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, wie folgt:

Schon daraus geht eindeutig hervor, daß der Kaiser in seiner Funktion als Präsidium des Bundes seiner verfassungsmäßigen Pflicht nachkommt: Er hat gemäß Artikel 17 der Reichsverfassung die Reichsgesetze zu verkünden, die zuvor von der Legislative, also den gesetzgebenden Organen des Reiches, verabschiedet wurden. Reichsgesetze werden gemäß Artikel 2 der Reichsverfassung von Bundesrat (Landesregierungen) und Reichstag (Volksvertretung) in Übereinstimmung beschlossen und anschließend durch den Kaiser verkündet. Genau das ist auch bei dem Gesetz, betreffend die Verfassung des deutschen Reichs vom 16. April 1871 geschehen.

Das völkerrechtlich wie staatsrechtlich vorbildliche (sic!) Zustandekommen der Reichsverfassung zu durchdringen und zu begreifen erschließt sich übrigens nicht durch die isolierte Betrachtung der Gesetzgebung des Jahres 1871. Der Begründung des Deutschen Reiches als Gesamtstaat und Völkerrechtssubjekt geht eine sehr bewegte 65jährige Geschichte voraus, in welcher die Grundsteinlegung des Deutschen Reiches in den Augustverträgen des Jahres 1866 zu verorten ist. Bismarcks Erben empfehlen zur Erkundung dieser Geschichte die wohl kompletteste Abhandlung der Verfassungsgeschichte, die in der aufwendigen Dokumentation „Kleine deutsche Verfassungsgeschichte“ dargelegt ist.

Und einmal mehr sei an die Mahnung des großen Friedrichs erinnert:
„Er soll nur glauben, was er geprüft hat.“


¹ Juristisches zur Eingangs- bzw. Publikationsformel:

Die übliche Publikationsformel: „Wir, Wilhelm von Gottes Gnaden, Deutscher Kaiser und König von Preußen verordnen im Namen des Deutschen Reiches nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstages“, ist nicht korrekt. Denn Bundesrat und Reichstag haben einem Reichsgesetz nicht bloß zuzustimmen, sondern dasselbe festzustellen, und der Bundesrat hat das Gesetz zu sanktionieren. Der Kaiser hat nach seiner Stellung im Gesetzgebungsprozeß nichts zu „verordnen“, d.h. zu sanktionieren, sondern nur zu prüfen, zu beurkunden („auszufertigen“) und zu verkündigen. […] Die Publikationsformel der Reichsgesetze ist „ohne viel Nachdenken“ den landesrechtlichen Formeln nachgebildet und seither, gleichfalls ohne viel Nachdenken, also nicht opinione neccessitatis, beibehalten worden. Gesetzlich vorgeschrieben oder festgelegt ist sie nirgends.
(aus Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Auflage, Seite 688 Fußnote f)

3 comments on “Eine verordnete Verfassung?

  1. Helmut

    Vielleicht keine ideologische Böswilligkeit der Propagandisten im Umgang mit Begriffen „Verordnung, verordnen“, davon provokant zu sprechen; Orts für die Einwohner werden täglich Verordnungen im Verwaltungsgebiet „Germany“ erlassen: Wir existieren, spätestens im Jahr 1990, im Handelsrecht, im geltenden Recht, im Gewohnheitsrecht. „Schreibe nichts der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist.“ Hanlons Rasiermesser.
    Einfach gültiges Recht der Bürger zu streichen, um beim Volk bestimmte Reaktionen auszulösen, gehört zur anerzogenen Dummheit der Propagandisten. Dazu empfehle ich zur Aufhellung für diese Gruppe von Menschen die anschauliche Streitschrift „Keine Macht den Doofen“ von M. Schmidt-Salomon. Die herrschende Dummheit ist stets die Dummheit der Herrschenden! Der „Angriff Verordnung“ wurde von Sascha glaubhaft und überzeugend widerlegt, in dem man den gesamten Text der „Eingangsformel“ aus unserer gültigen Verfassung vom Jahr 1871 öffentlich, dokumentarisch und wahrheitsgetreu zitiert. Vielleicht werden nunmehr weitere Deutsche Wissbegier zeigen, und sie finden das wahre gültige Recht, unser Staatsrecht der Bürger,
    unsere gültige Verfassung vom 16. April 1871, in unserer Staatsbibliothek beim Ewigen Bund. Sascha, Danke für diesen überzeugenden Gegenbeweis.

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